Ein Interview mit dem Zootierarzt Dr. Andreas Bernhard

Ob Jungtierprophylaxe bei einer Giraffe, Hufuntersuchung bei Zebra Nelly oder Geburtshilfe per Kaiserschnitt bei einer Thomsongazelle: Der Arbeitsalltag von Zootierarzt Dr. Bernhard ist vielfältig und spannend zugleich. Heute plaudert er aus dem Nähkästchen und erzählt darüber, wie viele Patienten er im Jahr behandeln muss, bei welchen Tieren eine Narkose das letzte Mittel ist und was seine bisherigen Höhepunkte waren.

1. Traumberuf Zootierarzt - welche Voraussetzungen muss man erfüllen und bestand schon immer der Wunsch, in einem Zoo zu arbeiten?

Die Floskel „zur richtigen Zeit, am richtigen Ort“ tritt es eigentlich ziemlich gut. Es waren einfach glückliche Umstände, die es mir möglich gemacht haben, seit 1994 im Zoo Leipzig als Zootierarzt tätig sein zu können. Die Zahl der Stellen in den deutschen Zoos ist begrenzt. Viele Zoos arbeiten daher mit externen Tierarztpraxen zusammen. Mein primäres Ziel vor dem Studium war es, in die Landwirtschaft zu gehen. Allerdings bestand schon immer der Wunsch, mich auch mit Wildtieren auseinanderzusetzen. Dass ich einmal im Zoo arbeiten würde, hätte ich mir nie träumen lassen. Das Studium der Veterinärmedizin und ein großes Interesse an der Biologie haben den Weg geebnet, ebenso meine anschließend erfolgte Qualifizierung zum Fachtierarzt für Zoo-,  Wild- und Gehegetiere durch meinen Lehrmeister Prof. Klaus Eulenberger.

2. Wie muss man sich die Aufgaben eines Zootierarztes an einem ganz normalen Arbeitstag vorstellen?

Das Aufgabengebiet eines Zootierarztes ist sehr facettenreich und erstreckt sich von der eigentlichen Tierbehandlung, über die Erstellung von Futterplänen bis hin zur Aufbereitung von Unterlagen im Rahmen eines Tiertransfers. Durchschnittlich führen wir im Jahr 400 Behandlungen durch, dann kommen noch parasitologische Untersuchungen dazu und präventive Maßnahmen wie saisonale Impfungen. Das heißt, theoretisch pro Tag im Durchschnitt eine Tierbehandlung, es können aber auch sechs werden, die eines guten Managements bedürfen. Den Arbeitsalltag versuchen meine Kollegin und ich so gut es geht zu planen. Erforderliche Narkosen werden wenn möglich, mit den verantwortlichen Tierpflegern besprochen. Menschenaffennarkosen erfordern z.B. eine gründliche Vorbereitung, und es muss genau abgewogen werden, ob sie zielführend sind oder doch erst andere Therapiemaßnahmen ergriffen werden. Deshalb befinden wir uns in einem sehr engen Abstimmungsprozeß mit den Pflegern, die ihre Tiere am besten kennen. Man muss wissen, dass alle Wildtiere ihre Krankheitssymptome vor uns verstecken. Da ist es oft sehr schwierig für uns, rechtzeitig eine Diagnostik durchführen zu können. Hier sind die Pfleger gefragt, die durch den Indikator Appetit ganz gut einschätzen können, ob ein Tier erkrankt ist. Frisst ein Tier schlecht, ist dies für uns ein Alarmzeichen.  Neben den täglichen Untersuchungen haben wir es auch oft mit unvorhersehbaren Eingriffen zu tun und müssen innerhalb kürzester Zeit das kranke Tier untersuchen und einen Therapieplan erstellen. In unserem kleinen Labor haben wir die Möglichkeit, hämatologische Blutuntersuchungen selbst vorzunehmen. Klinisch-chemische Parameter, serologische, bakteriologische, virologische und parasitologische Untersuchungen werden in Partnereinrichtungen durchgeführt und aus all diesen Puzzelsteinen ist letztendlich mit Blick auf den klinischen Kontext die Diagnose zu stellen. Da hilft natürlich eine solide klinische Ausbildung. Außerdem gehören saisonal stattfindende präventive Maßnahmen in Form von Impfungen zum Aufgabenspektrum. Wir müssen auch ungeliebte Entscheidungen treffen, wenn ein Tier gesundheitlich angeschlagen ist und eine Therapie wenig Aussicht auf Besserung verspricht. Dann wägen wir ab, ob aus Tierschutzgründen eine Euthanasie oder eine entsprechende Schmerztherapie mit den möglichen Nebenwirkungen besser ist für das Tier. Nicht immer eine leichte Entscheidung, die aber zum Berufsbild eines Tierarztes klar dazugehört. Außerdem führen wir medizinische Untersuchungen im Vorfeld von Tierabgaben durch und unterstützen im Rahmen des Zuchtmanagements durch Zykluskontrollen mit Kot- und Urinuntersuchungen die Zoologen. Zu alldem kommt der Austausch mit Fachkollegen zu besonderen Fällen, denn nur so können wir Tierärzte bei der Tierartenvielfalt eine gute Versorgung des Zoobestandes garantieren.

3.  Welche besonderen Herausforderungen gibt es?

Der zunehmende Trend, mehrere Tierarten in Biotopen zu vergesellschaften und dem Besucher in dieser Form zu zeigen, birgt aus veterinärmedizinischer Sicht Risiken und ist die Herausforderung eines Zootierarztes. Hierbei müssen die unterschiedlichen Biologien der Tiere gekannt und bei der Behandlung berücksichtigt werden. Das ist oftmals schwierig und muss bei den Planungen bedacht werden.

4. Gibt es neben den regulativen Arbeitsaufgaben noch andere Aufgabenfelder, die ein Zootierarzt bewältigen muss?

Ja, natürlich. Zum Beispiel bei Tiertransfers ins Ausland. Hier müssen die erforderlichen Transportuntersuchungen durchgeführt und entsprechend mit den zuständigen Behörden und dem Amtstierarzt abgestimmt werden. Beim Neubau von Anlagen bedarf es ebenfalls des Austausches mit dem Amtstierarzt, der die Anlagen ebenso wir das zuständige Amt für Umweltschutz hinsichtlich der vorgegebenen Haltungsrichtlinien für eine Tierart kontrolliert und dem Zoo eine gesetzeskonforme Genehmigung erteilt. Zusätzlich bin ich eine Schnittstelle zur Betriebsärztin, die die Arbeitsbedingungen u.a. der Tierpfleger regelmäßig überprüft und mit mir ggf. notwendige Schutzmaßnahmen für Mitarbeiter vor Zoonosen* bespricht. Benötigen wir spezielle Impfstoffe, müssen entsprechende Anträge bei der zuständigen sächsischen Landesbehörde in Dresden gestellt werden. Da ist jede Menge Schreibkram im Spiel.

5. Gibt es Tierarten, die Sie gern behandeln und andere weniger?

Nein, nicht wirklich. Jede Tierart ist auf ihre Art einzigartig. Vielleicht kann man es so sagen: Jedes kranke Tier ist im Moment der Behandlung das Wichtigste für mich. Natürlich stellen die sogenannten intelligenten Tierarten, wie die Menschenaffen, einen Tierarzt immer wieder vor Herausforderungen. Hier überlegt man sich ganz genau, ob eine Narkose, die ein hohes Risiko beinhaltet, für die Behandlung notwendig ist oder die Diagnostik auch anders erfolgen kann. Schweinenarkosen, Narkosen bei den Okapis oder Robben sind ebenfalls äußert heikel und müssen gut geplant werden. Hier ist es wichtig, immer im Austausch mit den Fachkollegen zu sein, um die neuesten Erkenntnisse anwenden zu können.

6.  Was sind die Höhepunkte im Rahmen der Arbeit?

Wenn Therapien anschlagen und die erkrankten Tiere gesunden, dann bin ich zufrieden. Da wir in unserem Beruf wenig Routine entwickeln können, finden viele Behandlungen das erst Mal statt mit durchaus ungewissem Ausgang. Wenn sich aber der Erfolg einer Maßnahme einstellt, dann beruhigt es und erfüllt mich mit viel Freude.

 7. Was ist wichtig bei der Arbeit in einem Zoo?

Man muss immer das Zusammenspiel zwischen der Biologie einer Tierart und dem Sozialverhalten im Blick behalten. Nur dann kann eine erfolgreiche Haltung von Tieren stattfinden. Und natürlich muss der Tierschutz die zentrale Rolle beim eigenen Handeln spielen.

 8. Was war der schönste Moment im Zoo der letzten Jahre?

Ganz klar die beiden Nashorngeburten aus den Jahren 2011 und 2013. Wir haben viel Zeit investiert, alle möglichen Maßnahmen ergriffen, um die Zucht voranzutreiben, und dann war es endlich so weit. Das sind Momente des Stolzes. Vor allem vor dem Aspekt der rückläufigen Bestandszahlen von Spitzmaulnashörnern in Afrika kann der Erfolg der beiden Nachzuchten nicht hoch genug eingeschätzt werden.

*Zoonosen sind von Tier zu Mensch und von Mensch zu Tier übertragbare Infektionskrankheiten.