Im Sommer 2020 ist plötzlich eine Debatte um den Zoogründer Ernst Pinkert aufgrund der von ihm veranstalteten Völkerschauen im Leipziger Tiergarten im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert entbrannt. Damit einhergehend wurden von einzelnen Akteuren medial erhobene Forderungen formuliert, die Stadt solle Schul- und Straßennamen umbenennen und der Zoo solle seine (Kolonial-)Geschichte aufarbeiten. 

Die Geschichte des Zoos ist Teil seiner Identität – und Teil der Stadtgeschichte. Diese – seine eigene Geschichte – hat der Zoo Leipzig verschiedentlich und im Zusammenhang mit seinen Jubiläen zum 125. und 140. Geburtstag intensiv aufgearbeitet, die verschiedenen historischen Etappen von Zoogründung, über Völkerschauen und die Weltkriege bis hin zur DDR-Zeit und dem heute gültigen Masterplan Zoo der Zukunft betrachtet und in verschiedenen Publikationen öffentlich zugänglich gemacht. Die hervor gebrachten Behauptungen, es gebe ein Versäumnis bei der Aufarbeitung der Zoo-Geschichte, weist der Zoo Leipzig von sich. Mit wissenschaftlicher Unterstützung wurden verfügbare Quellen gesichtet und ausgewertet.

Der Zoo Leipzig heute steht für Vielfalt sowie Internationalität in jeglicher Form, unterstützt als Zoo des 21. Jahrhunderts die positiven gesellschaftlichen Entwicklungen und distanziert sich von jeder Form von Extremismus und Fremdenfeindlichkeit. Er ist sich seiner Geschichte bewusst und setzt sich heute für eine artgemäße Tierhaltung und weltweit für den Arterhalt ein. Die vorhandenen Flächen im Zoo werden genutzt, um eine moderne Tierhaltung zu gewährleisten und auf den Verlust von Biodiversität sowie Lebensraum aufmerksam zu machen und somit aktiv auf den Zeitgeist einzuwirken.

Zweifelsohne sind Völkerschauen Teil der 142-jährigen Historie des Zoos. Es steht außer Frage, dass sie aus heutiger Sicht strikt abzulehnen sind und nicht im Einklang mit der Menschenwürde stehen. Kulturelle Einrichtungen agieren aber auch im Spiegel ihrer Zeit – dies gilt sowohl für die Darstellungsformen als auch Inhalte. Aus Sicht des 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren die Bewertungsmaßstäbe andere.

Ein Vergessen durch fehlende Präsenz im Stadtbild wäre aus unserer Sicht der falsche Weg. Ernst Pinkert und die historische Zootierhaltung waren wegweisend zu ihrer Zeit. Pinkert hat viel Gutes für die Stadt sowie die Stadtgesellschaft getan. Die Völkerschauen stellen einen kleinen – aus heutiger Sicht kritisch zu bewertenden – Ausschnitt seines Schaffens dar. Dieser muss aber im Kontext der damaligen Zeit bewertet und eingeordnet werden. Pinkert selbst als Zoogründer und sein Gesamtwerk verdienen auch heute unsere Anerkennung.

Einer Pauschalverurteilung und Verbannung des kulturellen Erbes hingegen stehen wir kritisch gegenüber. Viel wichtiger ist es aus unserer Sicht, Geschichte zu bewahren und eben nicht durch Umbenennungen der Pinkert-Schule sowie der Pinkert-Straße aus dem öffentlichen Raum zu löschen – vielmehr können darauf basierend ein öffentlicher Diskurs und nachhaltige Wissensvermittlung stattfinden. Der Zoo im 21. Jahrhundert ist Naturschutzzentrum und Bildungsstätte gleichermaßen.

Einordnung der Diskussion durch den Historiker Mustafa Haikal:

Dass der „europäische und deutsche Kolonialismus“ „wie kaum eine andere Epoche“ die Stadt Leipzig „über einen Zeitraum von annähernd 200 Jahren“ geprägt habe, wie im Antrag der Fraktion „Die Linke“ behauptet, ist unverständlich bzw. falsch. Leipzig war vieles, die Wiege der deutschen Arbeiterbewegung, die Wiege der deutschen Frauenbewegung und anderes mehr, aber eine Hochburg des Kolonialismus und der kolonialen Bewegungen sicher nicht. Vielleicht hätten die Autoren der wissenschaftlichen Stadtgeschichte tatsächlich ein Schlaglicht zu den Völkerschauen in ihren dritten Band aufnehmen und dem Kolonialthema etwas mehr Gewicht geben können, doch dass es dort insgesamt eine untergeordnete Rolle spielt, liegt nicht an der Ignoranz des Herausgeberkollegiums, sondern an den historischen Tatsachen. Durch die DDR-Zeit ist die Erinnerung an die kolonialen Spuren im Stadtbild offenbar weiter verwischt, da es hier eben keine Straßennamen oder Denkmäler deutscher „Kolonialherrlichkeit“ mehr gab, wie es in einigen westdeutschen Großstädten wohl noch lange der Fall war.

Manchmal schießt man auch mit gut gemeinten, ja ehrenwerten Motiven über das Ziel hinaus. Den Gründer des Leipziger Zoos, Ernst Pinkert, als „rassistischen und kolonialen Täter“ zu bezeichnen, ist eine Behauptung, die man sehr differenziert betrachten sollte und die sich nicht mit Blick auf Wikipedia-Artikel untermauern lässt. Ernst Pinkert, der wie wir wissen, aus sehr bescheidenen Verhältnissen stammte und sich durch Arbeit und Risikobereitschaft seinen Platz in der Gesellschaft erkämpfen musste, war nicht zuletzt ein überaus begabter Veranstaltungsmanager. Schon als Gastwirt und später auch als Zoodirektor organisierte er hunderte von Programmen, wobei er vor allem auf die Angebote umherreisender Schausteller zurückgriff. Vieles von dem, was er seinen Gästen damals offerierte, mutet uns seltsam an und nicht wenige der Inszenierungen würden wir heute aus ethischen Gründen ablehnen. Wer sich ein Bild von der Fülle und der Verschiedenartigkeit dieser Veranstaltungen machen will, dem sei die Jubiläumspublikation des Zoo Leipzig („Auf der Spur des Löwen. 125 Jahre Zoo Leipzig“, 2003) empfohlen. In diesem großformatigen und reich bebilderten Band wird auf sechs Seiten auch auf die von Ernst Pinkert verantworteten Völkerschauen des Zoos eingegangen.

Woher der wiederkehrende Vorwurf stammt, der Zoo verschweige diesen Teil seines Erbes, erschließt sich demnach nur schwer. Und schon damals lag nichts ferner, als die Völkerschauen in irgendeiner Form zu legitimieren. Sie waren Teil einer kolonialen und rassistischen Praxis, sie verletzten – trotz aller Vielfalt im Detail – die Würde des Menschen und niemand hat irgendein Interesse daran, sie zu rechtfertigen. Selbst das immer wieder vorgebrachte Argument, die Völkerschauen hätten einem Bildungsauftrag gedient und wären für die Besucher oft die einzige Möglichkeit gewesen, sich authentisch zu informieren, wurde in unserer Darstellung des obigen Buches kritisch hinterfragt. Allerdings gehört es zur historischen Wahrheit, dass in der Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs koloniale Auffassungen und rassistische Stereotype nicht nur weitverbreitet waren, sondern bis in die Sozialdemokratie hinein oft als vollkommen selbstverständlich galten (wenn auch aus verschiedenen Theorien und Überzeugungen heraus). So verwundert es nicht, dass sich in der Leipziger Bevölkerung damals kaum Widerstand gegen diese Form der Schaustellungen regte und die Menschen zu Hundertausenden die im Zoo und anderswo angebotenen Veranstaltungen besuchten.

Als Kind seiner Zeit teilte Ernst Pinkert die damals herrschenden Auffassungen und half sie – das ist wohl wahr – auch zu verbreiten. Das gehört zu den widersprüchlichen Seiten seiner Persönlichkeit, aber es bestimmt sie nicht. Pinkert war vieles in einer Person: Tiergärtner und Tierhändler, Gastwirt und Unternehmer, Impresario und Öffentlichkeitsarbeiter, zuallererst jedoch war er ein Kind seiner Zeit. Wer ihn als „kolonialen Täter“ bezeichnet, sollte das anhand der historischen Quellen detailliert und überzeugend nachweisen und der Frage stellen, wie sich der Begriff für das 19. und frühe 20. Jahrhundert definieren lässt.