Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Abteilung für Vergleichende Kulturpsychologie des Max-Planck-Institutes für evolutionäre Anthropologie untersuchen, wie Menschenaffen ihre Umwelt wahrnehmen und verstehen. In zwanzig Jahren gelangte die Forschung zu vielen neuen und wichtigen Erkenntnissen über die kognitiven Fähigkeiten unserer nächsten Verwandten.
So konnten die Forscherinnen und Forscher zeigen, dass Schimpansen nicht nur wissen, was Artgenossen sehen, sondern dass sie dieses Wissen nutzen, um mögliche Futterkonkurrenten zu manipulieren: Sie nähern sich dem Futter lieber im Verborgenen, wenn sie wissen, dass ihr Mitaffe die Banane nicht sehen kann. Schimpansen wissen, was ihre Artgenossen beobachten können, welche Schlüsse sie daraus ziehen werden und welche Ziele sie verfolgen. Menschenaffen kennen auch ihren eigenen Geist recht gut – sie wissen, dass sie sich manchmal irren. Und sie haben ein gutes Gedächtnis. Selbst Jahre später erinnern sie sich daran, welches Futter oder Werkzeug wann und wo versteckt wurde.
In einer andere Studie wurde untersucht, ob und wie Gorillas voneinander lernen: Die Tiere fressen in freier Wildbahn Nesseln und verwenden dafür eine recht komplizierte Technik. Gorillas, die nie zuvor eine Nessel gesehen hatten, entdeckten diese Technik unabhängig von ihren Artgenossen. Auch einige Formen des Werkzeuggebrauchs entwickeln Menschenaffen ohne Anleitung: Orang-Utans begannen, Wasser aus ihrer Tränke in eine Röhre zu spucken, um die auf ihrem Boden liegende Erdnuss zum Aufsteigen zu bewegen. Orang-Utan-Mütter nutzen ihre Kinder zuweilen als soziales Werkzeug: Können nur die Kleinen einen Apparat bedienen, der beiden Futter liefert, überlassen die Mütter ihren Jungtieren das dafür passende Werkzeug und ermutigen sie dazu, das Futter zu ergattern.
Menschen sind außerordentlich kooperativ und helfen einander. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes konnten erstmalig zeigen, dass auch Schimpansen helfen. Zudem verstehen Schimpansen bei Aufgaben, die Zusammenarbeit erfordern, die Rolle des Partners: Sie können zwischen Mitaffen unterscheiden, die gut oder weniger gut zusammenarbeiten und wählen ihren Partner entsprechend. Von zwei Forschenden bevorzugen sie bei späteren Interaktionen diejenige oder denjenigen, der ihnen oder einem ihrer Artgenossen vorher Futter gab – der gute Ruf spielt beim Auswählen des Kooperationspartners offenbar auch eine Rolle.
Die Forscherinnen und Forscher versuchten zudem herauszufinden, ob Menschenaffen planen können: Sowohl Bonobos als auch Orang-Utans wählten das zur Aufgabe passende Werkzeug und bewahrten es auf, um es später zu verwenden. In einer zweiten Studie erkannten Schimpansen im Voraus, mit welchen Schritten sich ein Labyrinth durchqueren ließ.Viele der menschlichen kognitiven Fähigkeiten finden wir auch bei unseren nächsten Verwandten, den großen Menschenaffen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass Mensch, Bonobo, Schimpanse, Orang-Utan und Gorilla diese Fähigkeiten von ihrem letzten gemeinsamen Vorfahren übernahmen.
Im Rahmen der vor zwei Jahren neu entstandenen Abteilung für Vergleichende Kulturpsychologie unter der Leitung von Prof. Daniel Haun wird ein besonderes Augenmerk zukünftiger Forschung auf Entwicklungsprozessen liegen. Die dahinterstehende Annahme ist, dass sich – ähnlich wie beim Menschen – kognitive Fähigkeiten graduell entwickeln und artspezifische evolutionäre Anpassungsprozesse sich in den jeweiligen Entwicklungsstadien widerspiegeln. Die so gewonnenen Rückschlüsse im Hinblick auf geistige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen und innerhalb verschiedener Primatenarten blieben beim Studium von ausschließlich erwachsenen Individuen verborgen.
„Die Untersuchung der frühen kognitiven Entwicklung der großen Menschenaffen ist eine große Herausforderung, der wir uns nur vor dem Hintergrund von zwei Dekaden vertrauensvoller Kooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und dem Zoo Leipzig stellen können. Wir haben großes Glück gemeinsam in dieser weltweit einzigartigen Situation arbeiten zu dürfen und die großen Fragen über den Menschen und seine nächsten Verwandten zu stellen“, so Prof. Daniel Haun.